Projekttag mit Polizeitrainer Steffen Meltzer

Abhauen oder zurückschlagen?

Polizeitrainer vermittelt Jugendlichen einfache praktische Strategien zur Gefahrenabwehr / Projekttag am Freien Gymnasium Joachimsthal

Von Daniela Windolff MeltzerFJG4

Joachimsthal  (MOZ)  Prügeleien, Erpressung, Raub, Mobbing,  sexueller Missbrauch –  ist unsere  Gesellschaft für Kinder und Jugendliche noch sicher? Wie schütze ich mein Kind, damit es weder Opfer noch Täter wird? Wie erkenne ich Gefahren und wie verhalte ich mich in brenzligen Situationen? Diesem Thema widmete sich ein spannender Projekttag am Freien Gymnasium Joachimsthal.

Mehr als 500 Kinder und Jugendliche werden in Deutschland täglich Opfer von Gewalt, das entspricht 27 Schulklassen, die jeden Tag in irgendeiner Form geschlagen, geprügelt, gemobbt, erpresst oder sexuell missbraucht werden. In Brandenburg waren es im vergangenen Jahr 4300 Kinder. Die Dunkelziffer sei um ein Vielfaches größer.  Mit diesen erschütternden Zahlen aus Polizeistatistiken rüttelt Polizeioberkommissar Steffen Meltzer zum Auftakt eines Projekttages zur Gewaltprävention sein Publikum auf. Der Förderverein des Freien Gymnasiums Joachimsthal hatte den erfahrenen Polizeitrainer und Präventionsexperten aus Potsdam für diese Veranstaltung gewinnen können, die Workshops für Schüler sowie einen öffentlichen Informationsabend für Eltern und Lehrer bot. Gefördert wurde das Projekt vom Amt Joachimsthal.

Steffen Meltzer bringt Erfahrungen und Wissen aus über 30 Jahren Praxis als Polizist mit, davon  auch einige Jahre in Eberswalde, und hat als Polizeitrainer seine Kollegen vor allem in der Eigensicherung  und Stressbewältigung fit gemacht. Er kennt durch seine Berufserfahrung nicht nur alle Formen von Kriminalität und weiß wie Täter ticken und was Menschen zu leichten Opfern macht, er hat sich durch intensives Studium auch mit Ursachen, Entstehung und  Formen  von Gewalt beschäftigt  und will sein Wissen an „Otto Normalbürger“ , vor allem an junge Leute, weitergeben, damit es möglichst gar nicht erst zum Ernstfall kommt bzw. wenn doch, auch der untrainierte Laie weiß, wie er sich und andere wirkungsvoll schützen kann.  Darüber hat er auch zwei Bücher geschrieben und bietet Workshops und Vorträge an.

Gewalt an Kindern und Jugendlichen als Massenphänomen in Deutschland, wie Steffen Meltzer es an Hand zahlreicher Studien, Statistiken und aktueller Fälle belegte, findet in der öffentlichen Diskussion allerdings noch wenig Raum, von spektakulären Fällen wie die Kindermorde an Elias und Mohamed oder brutale Überfälle in U-Bahnhöfen abgesehen, die für einen kurzzeitigen medialen Aufschrei sorgen. Doch unter der Glasglocke lebt niemand. Das  ist für die Joachimsthaler Schule Anlass, dieses Thema in den Fokus zu rücken. Schließlich sind gerade auch Jugendliche in ihrem Drang nach Selbstständigkeit und Freiheit auch zunehmend Gefahren ausgesetzt, ob es die Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln ins nahegelegene Berlin ist, Besuche von Konzerten,  Diskos oder anderen Großveranstaltungen oder der abendliche Heimweg allein auf dunklen Wegen. Auch Mobbing, vor allem über soziale Netzwerke, oder dubiose, gefakte Profile im Internet, spielen eine zunehmend größere Rolle. Steffen Meltzer ist es wichtig, diese Gefahren im Alltag klar zu benennen, ohne Angst zu machen aber auch ohne zu verharmlosen. In den Workshops spielt er mit den Schülern verschiedene Situationen durch, um sie zu sensibilisieren und den Blick dafür zu schärfen, wie man brenzlige Momente und drohende Gewalt schon in den ersten Ansätzen erkennen und dann besonnen handeln kann. Er demonstriert den Jugendlichen in praktischen Übungen, wie schon Mimik, Blicke und Gesten provozieren können und erklärt an praktischen Beispielen die Stufen von Gewalt. Was tun, wenn dich in der S-Bahn ein Typ grimmig anstarrt? Zurückstarren? Demütig wegschauen? Eine coole Bemerkung machen? Wenn Dich jemand mutwillig anrempelt, zurückschubsen oder abhauen? Er lässt die Jugendlichen selbst erfahren, wie weit der sogenannte eigene Wohlfühlbereich reicht und rät, immer mindestens eine Armlänge Abstand von Fremden zu halten. „Auch Taschendiebe suchen Körperkontakt.“

In seinen Übungen legt der Polizeitrainer besonderen Wert darauf, ganz einfache Strategien und Regeln zu vermitteln, die kein spezielles Training erfordern, sondern die Urinstinkte jedes Menschen ins Bewusstsein rufen. Flucht sei immer besser als Kampf. Wenn es denn möglich ist. „Man kann Zweikampftraining machen, aber meine Erfahrung ist, dass man in einer echten Gefahrensituation unter enormen Stress körperlich und psychisch nicht in der Lage ist, spontan komplizierte Techniken und Handlungsabläufe abzurufen und angemessen zu reagieren. Das ist was für Spezialisten, die das ständig trainieren“, erklärt Steffen Meltzer.

Mit den Schülern übt er auf dem Schulhof lautes Schreien: „Nein! Ich will das nicht!“, Halt, Stopp!“ Damit soll man einerseits Andere auf sich aufmerksam machen, andererseits kann man den Täter dadurch erschrecken und die Sekunde der Überraschung  nutzen, um zu flüchten oder Hilfe zu holen. „Was man schreit ist egal, Hauptsache laut und energisch, statt ängstliches ,Nein, bitte tu mir nichts.‘ Unsicherheit und Schwäche bestärkt kalte Täter eher.“

Auch einfache Griffe, mit denen man Angreifer auf Abstand halten oder sich befreien kann, übt  Meltzer mit den Schülern, die begeistert mitmachen. Er zeigt wirkungsvolle Schmerzpunkte, zum Beispiel auf dem Hand- und Fußrücken, um Täter abzuwehren und geht dabei auch auf Themen wie Notwehr und Zivilcourage ein. „Nie den Helden spielen! Nie auf Täter zugehen!“, warnt Steffen Meltzer eindringlich.

Die Gymnasiasten erweisen sich an diesem Projekttag als wissbegierige und aufmerksame  Schüler, die aktiv mitmachen. „Ich finde es ganz toll. Ich bin zwar selbst Trainer im Zweikampfsport, aber ich habe hier ganz neue und vor allem einfache Handhabungen gelernt. Das hat mich echt verblüfft. Das kann ich gut nutzen“, sagt der Neuntklässler Jonas nach dem Praxisworkshop. Und Leonard aus der 7. staunt: „Ich kenne schon vieles aus Filmen. Aber das hier ist ja echt realistisch!“

Kontakt: www.steffen-meltzer.de;

 

Bildunterschriften:  (Autor MOZ/Daniela Windolff)

MeltzerFJG1Komm mir nicht zu nahe: Polizist Steffen Meltzer übt beim Projekttag im Freien Gymnasium Joachimsthal einfache Griffe und Strategien, wie man sich vor Gewalt schützen kann. Neuntklässer Benny mimt den Angreifer.

 

MeltzerFJG2Noch ist es Spaß: Die Schüler testen vorsichtig wirkungsvolle Schmerzpunkte aus, mit denen sie in ernsten Gefahrensituationen Angreifer abwehren können.

 

MeltzerFJG3Mut zum Schreien: Polizist Steffen Meltzer übt beim Projekttag im Freien Gymnasium Joachimsthal mit den Jugendlichen, sich lautstark bemerkbar zu machen.