Iphigenie auf Tauris

Wer hätte gedacht, dass der Grundkurs Deutsch der Klasse 11 am 9. März 2020 in Berlin ein Theaterstück anschaut, dass aktueller nicht sein könnte. Das Musterdrama von Johann Wolfgang von Goethe „Iphigenie auf Tauris“ , das für die Werte und Auffassungen der Klassik an sich steht, wurde den Schülern in einem modernen Gewand präsentiert. Iphigenie, die Frau, die um Humanität, Wahrhaftigkeit und Menschenwürde kämpft, wird dem Zuschauer in einem Glaskasten sitzend, stehend und proklamierend dargeboten. Am Rande der vorderen Bühne liegen Plasikabfälle und der treue Diener von Thoas, Arkas, erscheint als Roboter. Der König der Taurier betritt die Bühne gerüstet wie ein übermächtiger „Sonnenkönig“ und diesem Herrscher soll sich Iphigenie nicht nur verweigern, nein, sie soll ihn humanistisch bilden.

Goethes Drama besteht aus fünf Aufzügen und diese folgen der klassischen Dramentheorie. Am Ende kann Iphigenie die Insel, auf die sie die Göttin Diana gebracht hatte, um sie vor dem Opfertod zu retten, nicht nur versöhnt mit Thoas verlassen, sondern sie kann auch ihren Bruder Orest und dessen Freund Pylades befreien und so den Fluch, der über ihrer Familie lag, aufheben. Nicht so auf dieser Bühne. Iphigenie darf zwar auch hier mit den berühmten Worten von Thoas: „Lebt wohl!“ die Insel verlassen, aber dann kommt es zu einer Schießerei zwischen Thoas und Orests Leuten und nur Iphigenie überlebt. Mit diesem unerwarteten Ende hatten die Schüler nicht gerechnet.

In der Auswertung dieses nicht friedlichen Endes vertraten die Schüler sehr kontroverse Auffassungen. Doch allen war wohl klar, dass die Regisseurin Nora Bussenius hier zurecht provozieren wollte. Denn Humanismus und Menschenwürde sind heute gefährdeter denn je.